Miserabel in Mathe?

IMMER WIEDER MITTWOCHS
04.12.2013

Schwer verrechnet.

   „Deutschlands Schulen sind nicht nur schlapp im Unterrichten. Sie gehören auch zu den ungerechtesten der Welt. Das war die Nachricht, mit der Pisa 2000 das Land schockierte. Das Vertrauen ins Schulsystem war zutiefst erschüttert“ (DER TAGESSPIEGEL, 04.12.2013).

   Einen weiteren Schock hätte das Land wohl nicht verkraftet. Darum wird heute gemeldet: „Deutsche Schüler holen auf“. Das ist von den hinteren Rängen ins Mittelfeld ein so großes Kunststück auch wieder nicht. Jedoch drängt ein bedauerlicher Befund die gute Nachricht in den Hintergrund. In Mathematik sieht es übel aus. Da sind uns die Asiaten um Lichtjahre voraus.

   Das ist kein Wunder. Denn allein schon in Deutschland liegen zwischen den Bundesländern ganze Welten. In der Bundeshauptstadt sieht es besonders übel aus: zwei Jahre Lernrückstand auf die Sachsen. Das merken  auch Nichtmathematiker in Berlin an allen Ecken und Enden. Wir kommen darauf zurück. Natürlich hat die Mathematikschwäche auch etwas Gutes. Sie hat den Job des Mathecoachs geschaffen. Das bringt aber sogleich ein weiteres Problem mit sich. Es gibt zu wenige.

   Das wir in Deutschland in Mathematik so schlecht sind, ist nicht verwunderlich. Jeder kennt die Smalltalks und Interviewoffenbarungen: „in Mathe war ich miserabel“. Da finden sich viele in bester Gesellschaft. In Mathematik nichts auf dem Kasten? Das rangiert unter Kavaliersdelikt und wird wohlwollend abgelegt.  Stellen Sie sich einmal vor, es würde jemand im gleichen Ton locker berichten, er habe nie richtig lesen gelernt und auch mit dem Schreiben hapere es.

   Das miese Mathematikniveau erklärt vieles. So wird Unbegreifliches verständlich. Flughäfen, Bahnhöfe, Opern, Rennstrecken, selbst kleinste Bauvorhaben werden immer teurer als ursprünglich berechnet. Dafür werden sie später fertig als geplant.

   Aber nicht nur in der Baubranche ist der Zustand desolat. Wie soll das mathematisch ungeschulte Bürgerhirn damit klarkommen, dass es fortwährend mit widersprüchlichen Meldungen bombardiert wird. Die offizielle Preissteigerungsrate wird immer unter 2 Prozent pro Jahr gemeldet. Zurzeit mal wieder traumhafte 1,2 %, irgendwann mal wieder liegt sie bei 1,9 Prozent. Das hängt ganz offensichtlich damit zusammen, dass eine Preissteigerungsrate über 2 % als inflationär gilt und damit die Geldwertstabilität gefährdet.

    Jeder weiß, dass für viele Waren des täglichen Gebrauchs die publizierten Steigerungsraten nie und nimmer stimmen können. Er kann es dieser Tag täglich Nachlesen oder im Fernsehen bestätigt finden: die Lebensmittepreise sind im Bereich von etwa 10% gestiegen. Das radiert man den mathematisch Unterbelichteten mit dem Hinweis auf den „Warenkorb“ aus. Da sind Autos, Kühlschränke und Computer drin. Letztere sind ja über die Jahre ganz toll billig geworden und drücken den Schnitt.

   Das gleiche System erkennen wir bei giftigen Rückständen auf Erden, zu Wasser und in der Luft. Die bedenklichen Gift- und Gefährdungsanteile halten sich immer innerhalb der erlaubten Grenzen. Sollte das einmal nicht möglich sein, bietet sich an, die Werte den aktuellen Gegebenheiten anzupassen. Schon haut der Grenzwert wieder hin und für die Bevölkerung „hat zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr bestanden“.

   Bei den Mathedefiziten steckt die Karre aber auch wirklich im Dreck. Wir wissen, dass nicht jeder seine Bildung gerade so gestalten kann, wie er das für richtig hält. Dazu haben wir eine ganze Palette von Institutionen. Wir haben niedrige Schulen, höhere Schulen und sogar Hochschulen. Da wäre eigentlich für jede und jeden  was dabei. Das klappt aber allein schon deshalb nicht, weil zu viele Köche den Brei verderben. Dazu kommt, dass diese Köche auch alle in die gleichen Schulen gegangen sind. Und was haben Sie dort mit auf den Weg bekommen: unzulängliche Mathematikkenntnisse. Deswegen können viele einfach nicht rechnen oder verrechnen sich andauernd.

   Das geht mit ganz kleinen Dingen schon los, zum Beispiel Brutto und Netto. Immerhin noch 5 Jahre nach Pisa I brachte die Regierungschefin die beiden Größen durcheinander. Die Kanzlerin unterrichtete die Bürger über die ARD Sommerinterview Fernsehmikrophone darüber, „dass die Bruttolöhne um ein Prozent sinken, wenn wir die Lohnzusatzkosten senken." Wer richtig rechnet, kommt jedoch zu dem Ergebnis, das nicht die Bruttolöhne sinken, sondern die Nettolöhne steigen.

   Aber so ist das in den oberen Etagen. Selbst ein Bundespräsident hat sich verheddert. Möglicherweise hat er zu sehr mit seinem „rollierenden Geldmarktkredit“ fürs 500.000 Euro Eigenheim herum gerechnet und dabei übersehen, dass andere eine Hotelrechnung für ihn bezahlt haben. Die Rechenschwierigkeiten setzen sich indessen nach unten fort.

   Der Finanzminister hatte schon Schwierigkeiten lange vor seiner Ministerzeit. Damals musste er sich noch mehr um die Parteifinanzen kümmern. Das war aber ein schwieriges Terrain und erforderte komplizierte Rechenvorgänge.  Deshalb ist mit der im Briefumschlag überreichten großzügigen 100.000 DM Spende eines Waffenlobbyisten gar nicht erst lang gerechnet worden. Sie wurde entgegengenommen, fertig. Hinterher wusste keiner mehr so genaues.

    Was sind schon 100.000 DM. Der Parteichef und damalige Bundeskanzler machte mit Parteispenden von 6 Millionen ebenfalls an der Gesetzeslage vorbei kurzen Rechenprozess. Er verbuchte sie gegen die neu eingeführte rechnerische Unbekannte in Form seines Ehrenwortes. Dieses mathematische Kuriosum hat sich bis heute erhalten. Die Spender sind nach wie vor unbekannt.

   Einen knallharten,  stets korrekt gescheitelten Law-and-Order Innenminister trieb seine Mathematikschwäche in Sachen Parteifinanzen in seinem Bundesland in die Fänge der Justiz mit abschließender Verurteilung. Die als „jüdische Vermächtnisse“ getarnte unorthodoxe Gegenbuchung auf Schweizer Konten hat einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht standgehalten.

  Insbesondere bei der Hinterziehung von Geldmitteln, die eigentlich gut für die Beseitigung von Bildungsdefiziten eingesetzt werden könnten, treten immer wieder mangelhafte Rechenkünste zutage. Das musste auch ein adeliger Wirtschaftsminister erkennen, nachdem ihn die Verurteilung wegen Steuerhinterziehung ereilt hatte. In diesem Komplex stellen wir immer wieder fest, dass die Betroffenen mit allem rechnen nur nicht damit, dass sie erwischt werden. Diese tragischen Fehlkalkulationen untermauern das Ergebnis der aktuellen Pisa-Studie.

    Dem ehemaligen Chef eines deutschen Dax-Unternehmens wäre vielleicht die kamerawirksame Festnahme erspart geblieben und der Präsident eines renommierten Fußballvereins müsste keine öffentliche Schmach ertragen, hätte sich vor vielen Jahren der Fraktionschef der Regierungspartei durchgesetzt und ein gerechtes transparentes Steuersystem auf den Weg gebracht. Das sollte auf einen Bierdeckel Platz haben. Das wollte die Chefin nicht und hat den Mann in die Wüste geschickt.  Aber nicht nur Steuervisionen stricken Politikerkarrieren um. Auch das fehlerhafte hantieren mit Bonusmeilen im Flugverkehr hatte schon politische Konsequenzen. Unternehmer wissen es von Hause aus. Die anderen müssen es erst lernen. Es gibt eben ein Privatkonto und ein Geschäftskonto.

   Das Mathematikproblem zeigt das ganze Dilemma. Insbesondere dort, wo Geld im Spiel ist, geht fürchterlich viel daneben. Das ist eine völlig logische Folge davon, dass im Zusammenhang mit Geld immer wieder gerechnet werden muss. Bei dieser elementaren Grundlage werden wir bereits auf Glatteis geführt. Die Verführer kommen aus allen Himmelsrichtungen und auch aus dem Himmel selbst.

   Wir sollen glauben, sagen sie uns alle. Glaube  mir, flehen uns alle an. Verliere nicht den Glauben, flüstern sie uns Tag und Nacht zu. Der Glaube ist wichtiger als alles andere lautet der immer und immer wieder zugestellte Bescheid. Das gilt für alles Mögliche und Unmögliche. Glauben heißt die Parole, nicht kleinkariert Erbsen zählen. Bleiben wir beim Geld. Auch da haben die Predigten ihre Spuren hinterlassen. Zum Beispiel glauben viele Menschen immer noch, Geld sei eine Sache. Nun sind wir ja keine Deppen. Ein bisschen was haben wir ja doch gelernt. Was ist ein Ding, eine Sache? Richtig, kann man anfassen.

   Geld kann man anfassen, richtig? Ja, aber trotzdem zumindest zur Hälfte falsch. Wir können nur Geldscheine und Münzen anfassen. Ausschließlich diese beiden sind tatsächlich Geld im gesetzlichen Sinne. Gesetzlich heißt, bei beiden handelt es sich um Zahlungsmittel. Nur damit können wir uns von unseren Schulden befreien. Strom kommt aus der Steckdose. Unser Geld kommt dafür zum Stromlieferanten. Der müsste wirklich per Gesetz nur gültige Geldscheine und (bis zu einem beschränkten Umfang) Münzen in Empfang nehmen, ohne wenn und aber.

   Was wir also anfassen können, das sind die Scheine und die Münzen. Das sind tatsächlich Dinge.  Was sich unserem Zugriff aber völlig entzieht, ist der Wert dieser Papierscheine und Münzen. Da landen wir in der Teufelsküche des Glaubens. Das gleiche gilt für die Zahlen, die wir auf unserem Kontoauszug sehen. Es sind nur Zeichen, die wir als Zahlen zu interpretieren gelernt haben. Uns wird dazu gesagt. Das ist Dein Geld. Darauf fallen wir herein. Es ist abgrundtief falsch. Was Geld ist, haben wir im letzten Absatz klargestellt. Wenn wir den Zahlen auf dem Konto noch irgendetwas abgewinnen wollen, haben wir nur zwei Begriffe. Das sind einmal „Forderungen“ an die Bank, oder „Verbindlichkeiten“ (Schulden) bei der Bank, falls das Konto im Minus steht.

   Die Zahlen auf dem Konto werden auch dadurch nicht zu Geld, dass der Arbeitgeber oder der Kunde uns das überwiesen hat, was uns in Form von Geld eigentlich zusteht. Taglöhner und Aushilfen kennen das noch. Sie bekommen ihre „Lohntüte“ in Form von Geld bar auf die Hand. Alle anderen haben Ihr Geld schon aus der Hand gegeben, bevor sie es überhaupt gesehen haben. Sie haben es in Forderungen umgetauscht. Das ist auch nach den Regeln der Mathematik etwas anderes als Geld. Äpfel sind keine Birnen und Forderungen sind eben kein Geld. Das habe ich erst, wenn ich es mithilfe der Plastikkarte aus dem Automaten ziehe.

   Auf den Taschenspielertrick mit dem angeblichen Geld auf dem Konto fallen die Menschen auch deswegen herein, weil Sie nur eine unvollständige Abrechnung vor Augen haben. Man sagt ihnen, dass sie ein Konto bei der Bank haben. Das sehen sie bloß nie. Sie bekommen immer nur Abrechnungen gezeigt.  Sie erhalten nur einen „Kontoauszug“. Sie sehen nie ein komplettes Konto.

   Eine mathematische Definition von Konten in der Buchhaltung ist es, dass sie immer ausgeglichen sind. Wenn auf der einen Seite ein Betrag steht, über den Sie verfügen können, muss auf der anderen Seite stehen, wo der Betrag herkommt. Unterm Strich steht auf beiden Kontoseiten der gleiche Betrag. Wer das immer vor Augen hat, wird sensibler für das, was mit seinem Geld geschieht.

   Wir sollten uns das einmal näher ansehen. Dazu gibt es einen zweiten Teil.  Dann kümmern wir uns auch noch einmal um eine Merkwürdigkeit des „Sparkontos“. (Teil 2 – Fortsetzung  "Geniale Masche")


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